Print media
от 27 June 2016
 

Begeisterte Besucher

27 June 2016
Neues Deutschland

Das große Moskauer Ausstellungszentrum WDNCh zieht wie in den sozialistischen Zeiten die Besucher an

Die berühmte Allunionsausstellung in Moskau zieht die Massen an.

Die Sowjetunion verging, ihre große Ausstellung blieb. Wie einst zieht das Gelände am Prospekt Mira mit seinen Errungenschaften und Attraktionen die Besucher an. Besonders an sonnigen Tagen besuchen viele Moskauer das Allrussische Ausstellungszentrum. Ihr Verhalten passt hier nicht ganz zu dem Überfluss beeindruckender Monumente. Fröhliche und respektlose Jugendliche planschen in einem riesigen Brunnen und bespritzen die Passanten. Rollschuhläufer jagen über den glatten Asphalt.

Die entspannten Moskauer mieten Fahrräder und essen Zuckerwatte mit ihren Kindern. Die Mitglieder der wachsenden und relativ neuen Mittelklasse der Stadt genießen ihre Freizeit. Sie bewundern die Pavillons von außen oder gehen hinein. Hier gibt es eine große Auswahl an Ausstellungen und kulturellen Veranstaltungen.

«Ich komme immer gern hierher, wenn ich etwas freie Zeit habe. Die WDNCh ist einer meiner Lieblingsorte in der Stadt. Ich weiß nicht so viel über die Geschichte, aber ich verbinde das Ausstellungszentrum mit der Einheit der Nation. Sie wird durch die verschiedenen Pavillons und den Hauptbrunnen symbolisiert. Ich mag den Ort, weil hier immer etwas los ist. Besonders an Feiertagen», sagt die 19jährige Polina Tschernikova, die Wirtschaft studiert. Sie wird von Michail Rogov, 44, ergänzt: «Ich bin hier, um meine Schwiegermutter zu begleiten, die aus einer anderen Region Russlands stammt. Sie wollte gern wieder den Ort besuchen, in dem sie vor vielen Jahren das letzte Mal war. Selber war ich auch ewig nicht mehr hier und ich möchte gerne sehen, wie die Instandsetzungen vorankommen. Deswegen gehen wir ein bisschen spazieren,» sagt Rogov, der als Risikoanalyst für Geldanlagen tätig ist.

Die riesige Anlage am Moskauer Prospekt Mira ist immer noch unter der Abkürzung aus der Sowjetzeit WDNCh bekannt — Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft. In den Pavillons auf dem mehrere Quadratkilometer großen Gebiet sollten sich die Besucher mit der Vielfalt des Lebens und Schaffens der Völker der Sowjetunion vertraut machen. Die Gebäude haben Namen und Themen wie «Armenien», «Kirgisistan», «Leningrad», «Belarus» oder «Elektrifizierung», «Kernenergie», «Forstwirtschaft», «Fischerei» und «Geologie». Die alten Bezeichnungen nach Sozialistischen Sowjetrepubliken sind in Klammern gesetzt und erinnern an sozialistische Atmosphäre und Geschichte.

Die meisten Pavillons sind in einer Art Zuckerbäckerstil ausgeführt. Dieser war weit verbreitet, als die WDNCh im Jahr 1939 öffnete. Die vielen Säulen, Bögen, Balustraden und Statuen von Proletariern beziehen ihre Inspiration aus der Antike. Die Architektur drückt die Unvergänglichkeit aus, nach der Imperien streben. Die Popularität des Stils fiel mit dem Aufstieg Stalins zusammen. Nach den blutigen Säuberungen von 1937-1938 erreichte er den Gipfel seiner Macht.

Breite Fußgängerstraßen führen in die weitläufige Parkanlage hinein, zu zahlreichen prächtigen Bauten. Darin wurden alle Aspekte der sozialistischen Lebensweise gepriesen und sollten die Besucher von der Überlegenheit der Sowjetunion in Industrie, Landwirtschaft und Technik überzeugen.

Angesichts der rasenden Urbanisierung, die auf die Turboindustrialisierung der 30er Jahre folgte, ist das sicher recht gut gelungen. Die Entwicklung bedeutete nämlich, dass ein erheblicher Teil der Moskauer damals eigentlich Bauern waren und bis vor kurzem nichts anderes als die Felder rund um ihr Dorf gesehen hatten. Nun standen sie staunend vor vergoldeten Statuen mit Lorbeerkränzen in den Händen und sahen auf hohe Turmspitzen, die die roten Sterne weit oben im Himmel aufsetzten.

Die Sinne der Besucher wurden mit einer Vielzahl an üppigem Dekor und bunten Mosaiken gereizt. Viele Ver- zierungen erscheinen im Stil des sozialistischen Realismus, die Farbe Rot dominiert und Revolutionsführer Lenin erscheint in verschiedenen schmeichelhaften Positionen.

Die hypnotisierenden Muster auf den Pavillons mehrerer mittelasiatischer Republiken greifen auf das Beste der islamischen Kunst zurück. Sie schaffen eine faszinierende Aura von Fremdheit und Exotik. Vielleicht entstand angesichts all dessen bei den Besuchern ein Gefühl der Verwandtschaft mit den Menschen in den anderen Sowjetrepubliken, die offenbar ebenfalls schwere Arbeit leisteten, um den Sozialismus aufzubauen und hier stolz ihre Leistungen zeigten.

Nach Gesetzeslosigkeit, Chaos, Verfall und Armut, die Russland in den 1990er Jahren fast in die Knie zwangen, wurde der Ort neu gestaltet, die meisten Pavillons wurden saniert. Sie wirken nun imposanter denn je. Über siebeneinhalb Jahr- zehnte, nachdem die Sowjetbürger zum ersten Mal durch die überdimensionierten Triumphbogen schritten, die den Eingang zur WDNCh bilden, erfüllt die Anlage wieder ihre ursprüngliche Funktion: die Gäste zu beeindrucken.

Der freundlichen und entspannten Atmosphäre zum Trotz steht das Ausstellungszentrum heute wieder als Beweis für Russlands nicht so ferne Vergangenheit als Supermacht. Angesichts des wachsenden Nationalismus, der Annexion der Krim und des zunehmenden Selbstbewusstseins gegenüber dem Westen erweitern und renovieren die Behörden die Sehenswürdigkeit.

Die neuen Aktivitäten rund um dieses wichtige Nationalmonument können als Zeichen dafür gesehen werden, dass Russland physisch zum Ausdruck bringt, dass das Land wieder ernst genommen werden möchte. Die WDNCh zurück zu ihrem frü- heren Glanz zu bringen, ist Teil eines Trends, in dem Russland sich wieder als eine Weltmacht darstellt, nach der tragischen Dekade unter Präsident Boris Jelzin in den 1990er Jahren — eine Zeit, in der das Land abwechselnd bemitleidet und ausgelacht wurde.

Zu den beliebtesten Attraktionen in dem Ausstellungszentrum gehört alles, was mit Raumfahrt zu tun hat. Kosmonauten und Satelliten hatten in der Sowjetunion hohen Status. Die Erforschung des Universums hatte eine schon fast religiöse Dimension. Unter anderem steht die Raumfähre Buran kostenlos zur Bewunderung auf dem Gelände. Nicht weit davon entfernt zeigt die Spitze einer zwanzig Meter langen Wostok-Rakete nach oben. Die beeindruckenden Exponate stellten eine wichtige Komponente der ehrgeizigen Bemühungen der UdSSR dar, das Weltall zu erobern.

Mit Schönheit beeindruckt der Pa- villon Usbekistans. Er fällt durch seine kunstvoll geschnitzten Holztüren und Muster aus farbigem Glas auf. Darstellungen der Naturreichtümer der Republik wie Seide und Baumwolle tauchen in den kunstvollen Ornamenten auf. Armeniens Repräsentation erinnert an einen griechischen Tempel. Hier wird der berühmte Weinbrand des Landes «Ararat» von jedem Jahrgang und in jeder Schattierung verkauft.

Viele Gäste beenden ihren Rundgang mit einem Besuch im Pavillon Kirgisistans. Nicht nur wegen der Architektur kommen die Besucher, sondern auch wegen des ausgezeichneten Restaurants. Das bietet eine Auswahl köstlicher Spezialitäten des kleinen mittelasiatischen Landes. Wählen Sie vor der Heimreise mit der U-Bahn am besten vielleicht «Sjurpa» auf der Speisekarte — eine Suppe mit Hammel — oder «Manty», kleine Teigstücken mit Lamm gefüllt.



 

Publications on the topic

 
LOAD MORE ...
 

E-mail:
Name:
Подписаться на рассылки: